Der Beitrag lautet auszugsweise: 

"Zwangsvollstreckung in der Schweiz? Grundzüge der sog. „Schuldbetreibung“!

Die Schweiz ist – zurecht – nicht nur bei Urlaubern beliebt. Sie ist wohl auch nach wie vor und global betrachtet einer der führenden Wirtschaftsstandorte. Laut einem alljährlichen Bericht des World Economic Forum (WEF) ist die Alpenrepublik abermals das wettbewerbsfähigste Land der Welt (Quelle: http://www.handelszeitung.ch/konjunktur/wirtschaftsstandort-schweiz-bleibt-die-nummer-1-491247, abgerufen 10.11.2016, 14.45 Uhr). Nichtsdestotrotz bleibt es nicht aus, dass Deutsche auch in der Schweiz Ihre Zahlungsansprüche manchmal zwangsweise durchsetzen müssen. Wie das geht erfahren Sie in Grundzügen in diesem Beitrag:

Praxisbeispiel Anfang:

Das Unternehmen U ist Dauer-Mandant der Anwaltskanzlei A. Es beliefert regelmäßig den Schweizer S mit von ihm benötigten Materialien. Die Kaufpreis-Zahlungen des S erfolgen ab einem gewissen Zeitpunkt zögerlich, irgendwann gar nicht mehr. U fragt A um Rat: „Könnte es Sinn machen, die aufgelaufenen Forderungen i. H. v. insgesamt 3.000,00 € in der Schweiz geltend zu machen – ggf. zwangsweise?“

Praxisbeispiel Ende:

Rechtliche Ausgangslage in der Schweiz

Kurz zur rechtlichen Ausgangslage in der Schweiz: Dort ist – wie bei uns auch (vgl. nur §§ 227 ff. BGB) – die Selbsthilfe des Gläubigers grds. verboten. Eine Zwangsvollstreckung mittels Staatsgewalt wegen Geldforderungen, in der Schweiz „Schuldbetreibung“ oder „Betreibung“ genannt, richtet sich vielmehr im Wesentlichen nach dem sog. Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) vom 11. April 1889. Aufgrund der Gliederung der Schweizerischen Eidgenossenschaft in 26 Kantone mit jeweils eigenen Normen und eigenen gesetzgebende, vollziehende und rechtsprechende Institutionen können neben Bundesgesetzen wie dem SchKG die Zivilprozessordnungen, Gerichtsverfassungsgesetze pp. der einzelnen Kantone zu beachten sein. Dies zeigt sich bspw. an Art. 26 Abs. 1 a. A. SchKG, der lautet: „Die Kantone können, soweit nicht Bundesrecht anwendbar ist, …“.

Zweierlei Vorgehen zur Forderungsrealisierung

Um eine Geldforderung gegen einen Schuldner mit Sitz in der Schweiz zu realisieren, gibt es jedoch grds. zwei Vorgehensmöglichkeiten:

Zum einen kann die Forderung zuerst gerichtlich geltend gemacht und danach vollstreckt werden. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass der Schuldner im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens gewisse Einwendungen nicht mehr geltend machen kann; solche hätte er im Gerichtsverfahren vorbringen müssen.

Zum anderen kann aber auch direkt - d.h. ohne vorgängiges gerichtliches Verfahren - die Betreibung eingeleitet werden. Maßgeblich hierfür sind die nach Art. 46 i. V. m. 1 f. des SchKG zuständigen Betreibungsämter in dem jeweiligen Betreibungskreis eines Kantons. Die Schuldbetreibung wird durch die Einreichung eines Betreibungsbegehrens eingeleitet. Dem Schuldner wird dann ein "Zahlungsbefehl" (ähnlich unserem Mahnbescheid) zugestellt (Art. 38 Abs. 2 a. A. SchKG). Erfolgt dies ohne Reaktion des Schuldners binnen 10 Tagen, kann der Gläubiger 20 Tage nach Zustellung des Zahlungsbefehls an den Schuldner beantragen, die Betreibung fortzusetzen. Dies erfolgt gegen natürliche Personen in Form der Pfändung; gegen im Handelsregister eingetragene Firmen im Wege der Konkursandrohung mit nachfolgendem Konkursbegehren (Art. 38 Abs. 2 a. E. SchKG).

Ähnlich dem deutschen Mahnverfahren kann der Schuldner gegen diesen o. g. Zahlungsbefehl jedoch wie zuvor kurz erwähnt innerhalb von 10 Tagen "Rechtsvorschlag" - ähnlich dem Widerspruch nach §§ 699 ff. ZPO - einlegen (Art. 69, 74 ff. SchKG). Dieser führt dazu, dass die Betreibung zunächst eingestellt wird. Dann muss im nächsten Schritt durch einen, im jeweiligen Kanton zugelassenen Anwalt Klage auf "provisorische" bzw. "definitive Rechtsöffnung" erhoben werden, um diese Einstellung aufzuheben:

Provisorische Rechtsöffnung

Die provisorische Rechtsöffnung ist einschlägig, wenn hinsichtlich der Forderung des U noch kein Schuldanerkenntnis oder anderer (deutscher) Titel vorliegt. Dann ist der Gläubiger U gehalten, Klage bei dem zuständigen ordentlichen Gericht zu erheben. Es folgt ein summarisches Verfahren die Forderung betreffend. Wird provisorische Rechtsöffnung erteilt, steht dem Schuldner die Möglichkeit einer Aberkennungsklage zu (Art. 82 SchKG), mit welcher er den Bestand der Forderung bestreiten und sonstige Einwendungen geltend machen kann. Das weitere mögliche Vorgehen (provisorische Pfändung vs. Aberkennungsklage) zur ggf. letztlich definitiven provisorischen Pfändung findet sich in Art. 83 SchKG recht nachvollziehbar beschrieben.

Definitive Rechtsöffnung

Liegt hingegen ein Titel - z. B. ein in Deutschland gem. §§ 688 ff. ZPO erlangter Vollstreckungsbescheid - vor, kann durch den Gläubiger U auf definitive Rechtsöffnung geklagt werden (Art. 80 SchKG). In diesem Klageverfahren sind die Schweizer Richter nach Art. 81 Abs. 3 SchKG i. V. m. dem Abkommen von Lugano grds. an den Titel gebunden; es wird lediglich summarisch geprüft ob wesentliche Prozessgrundsätze beachtet wurden. Der ausländische Titel hat somit i. E. die schweizerische Anerkennung erhalten.

Fortsetzung der Betreibung

Wird kein Rechtsvorschlag eingelegt oder wurde ein solcher durch eine erfolgreiche Rechtsöffnung beseitigt (vgl. hier die Formulierung des Art. 86 Abs. 1 S. 1 a. A. SchKG: „Wurde der Rechtsvorschlag … durch Rechtsöffnung beseitig…“), kann die Betreibung auf Antrag fortgesetzt werden. In dem Zusammenhang ist U auf die Jahresfrist des Art. 88 Abs. 2 SchKG hinzuweisen! Bleibt der Schuldner immer noch säumig, ist für die Fortsetzung der Betreibung zu unterscheiden, in welcher Rechtsform er auftritt:

Bei Schuldnern mit Handelsregistereintragung wird die Betreibung durch "Konkursandrohung" mit nachfolgendem "-begehren" fortgesetzt (Art. 39 SchKG). Im Falle eines wirtschaftlich erfolgreichen Konkurses erfolgt dann die Gläubigerbefriedigung.

Liegt keine Handelsregistereintragung vor, z. B. bei natürlichen Personen wie in unserem Praxisbeispiel, erfolgt grds. eine Pfändung (Art. 42 I i. V. m. 89 ff. SchKG).

Wirtschaftliche Abwägungen/sonstige Praxistipps

Wie oben dargestellt kann es erforderlich werden, einen in der Schweiz zugelassenen Anwalt zur zwangsweisen Realisierung hinzu zu ziehen. Hinzu kommt, dass in den meisten Kantonen ein so genanntes Anwaltsmonopol besteht. Das heißt, die Parteien müssen sich für bestimmte Verfahren und wenn dies richterlich angeordnet ist, von patentierten Anwälten vertreten lassen. Die dafür anfallenden Kosten können in der Schweiz in unserem Fall nicht dem Schuldner auferlegt werden.

Die jeweils zuständigen Behörden nehmen unabhängig davon grds. unmittelbar keine Zustellung in das Ausland vor. Daher ist es (im Praxisbeispiel auch für A für dessen Mandanten U) nötig, z.B. bei der Deutsch-Schweizer Handelskammer einen Briefkastendienst einrichten zu lassen.

Die Handelskammer Deutschland Schweiz bietet über diese Dienstleistung hinaus gehend auch einen Inkassodienst bei in der Schweiz ansässigen Schuldnern an (vgl. http://www.handelskammer-d-ch.ch/de/beratung/rechts-und-steuerfragen/inkassodienst, abgerufen 10.11.2016, 18.00 Uhr): Mittels recht einfachem Auftragsformular samt Vollmacht kann die Kammer entsprechend vorzugehen beauftragt werden. Im Praxisbeispiel von eingangs verlangt die Kammer eine Behandlungsgebühr von 270,00 CHF zzgl. einer Provision von 3 – 5 % auf die beigetriebenen Beträge. Überschläge käme U als Nicht-Mitglied dieser Handelskammer demnach bei einer realisierten Forderung von 3.000,00 € auf „Unkosten“ von insgesamt 420,00 €; zzgl. einem Vorschuss i. H. v. 200,00 CHF auf Barauslagen und evtl. Kosten von Ämtern, Gerichten, Rechtsanwälten pp. Daraus wird ersichtlich, dass es abermals sinnvoll ist, das Ausfall- oder Insolvenzrisiko anderweitig zu minimieren – am einfachsten durch Vorkasse.

 ...

"