Die Diagnose „Kissing Spine“ ist für einen Pferdebesitzer sicherlich zunächst ein Schock: die zu eng beieinander stehenden  oder sich gar berührenden Dornfortsätze der Brust- und Lendenwirbelsäule können für das Pferd – und bei entsprechendem Schmerz des Pferdes in Konsequenz auch für den Reiter – unangenehm sein. Müssen sie aber nicht: Anatomisch muss ein Pferd mit „Kissing Spine“ nicht „automatisch“ auch Rückenprobleme haben. Es handelt sich dabei vielmehr um einen weit verbreiteten, vermutlich angeborenen Befund. Erst wenn die Dornfortsätze derart massiv aneinander reiben, dass sie sich entzünden, entstehen Probleme/Schmerzen; was auch von der Belastung, Reitweise u. v. m. abhängen kann – und zwar im Einzelfall. Veterinärmedizinisch ist zu resümieren, dass „Kissing Spine“ unheilbar, aber nicht zwingend eine Katastrophe ist (dazu insgesamt Cavallo Spezial „Die 100 wichtigsten Pferdekrankheiten, S. 164).

Dem entsprechend – man muss schon sagen wirklich pferde-sachverständig – hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) aktuell (Urteil v. 27.05.2020 – VIII ZR 315/18) auch mit der Frage befasst, ob/wann „Kissing Spines“ einen Mangel im kaufrechtlichen Sinne darstellen können. Kurz gefasst: Vorbehaltlich einer vertraglichen Beschaffenheits-/Zustandsvereinbarung stellt der BGH zutreffend fest, dass „Kissing Spines“ neben dem Befund an sich auch eine klinische Auffälligkeit des Pferdes erfordern! Denn ein Abweichen von der physiologischen Norm an sich, das lediglich eine geringe/keine Wahrscheinlichkeit dafür birgt, dass das Pferd zukünftig klinische Symptome entwickeln wird, die einer Verwendung als Reitpferd entgegen stehen, reiche nicht aus, um den Rücktritt vom Vertrag zu erklären und das Pferd letztlich zurück zu geben (BGH a. a. O., LS. 2).

Zudem hat der BGH im Zusammenhang mit einem Verbrauchsgüterkauf bzw. der Beweislastumkehr des § 476 BGB a. F. (§ 477 BGB akuteller Fassung) bei "Kissing Spines" bzw. "Rittigkeitsproblemen" festgestellt, dass dies keine Mangelerscheinungen sind, insbesondere keine, die eben diese gesetzliche Vermutungswirkung/Beweislastumkehr per se auslösen. Es handele sich letztlich um ein natürliches Risiko für den Pferdebesitzer (BGH a. a. O., LS 7b). 

Fazit: Erfreulicherweise hat der BGH unter Rz. 27 der Entscheidung bestätigt, dass es sich auch bei Pferden um Lebewesen handelt, die einer ständigen Entwicklung unterliegen und anders als Sachen mit individuellen Anlagen und entsprechenden Risiken ausgestattet sind. Es sei denn, es liegt vorrangig eine entsprechende Vertrags-/Beschaffenheitsvereinbarung vor - über die ein Pferdekäufer also grds. nachdenken sollte - oder/und klinische Befunde im dargestellt mangelrechtlich ausreichendem Umfang. Höchst fürsorglich kann es sich zudem und chronologisch vorrangig empfehlen, vor dem zukünftigen Kauf eines Pferdes die AKU ggf. auch auf den Rücken auszudehnen. Denn das Röntgen des Rückens sieht der RölF (2018) nicht als Standard vor. Das Geld sollte es dem Käufer im Einzelfall aber wert sein -  um vorbeugend gegenfalls von dem Kauf gar Abstand zunehmen.

Exkurs: Es soll nicht unerwähnte bleiben, dass der BGH auf Seite 12 der Entscheidung die Einordnung von "Kissing Spines" betreffend u. a. auch auf das Buch Rosbach/Weiß/Meyer, Pferderecht, 2. Auflage, Kap. 8 Rn. 30, hingewiesen hat.